Dienstag, 11. März 2008

Die Sprache des Strickens

An diesem Tag antwortete die Strickmaschine leider nicht

Anfang Februar konnte man ja beim wedding2dress-Festival in der Brunnenstraße unter anderem eine Strickmaschine bewundern, die mit einer Einsprechmöglichkeit versehen ist und die Tonhöhen und -folgen der menschlichen Stimme in ein Strickmuster übersetzt. Reihen kleiner Vierecke in verschiedenen Gruppierungen bilden ein abstraktes Muster auf einem einfarbigen, rechts gestrickten Untergrund. Da die so entstehenden Teile wegen der Spannfäden auf der Rückseite nicht tragbar wären, lassen die Designerinnen zur Zeit Pullover und Schals als Jacquardgestrick, also mit zwei rechten Seiten, in Apolda produzieren. Demnächst soll es möglich sein, eigene Botschaften einzusprechen und in gewünschter Farbe und Form über die Webseite zu bestellen.

Eine schöne Idee, die mir seit der Designausstellung im Kopf herumgeht. Da die Übersetzung durch die Software auf einem sehr abstrakten Niveau stattfindet, sind die entstehenden Kleidungsstücke nicht lesbar - höchstens vom BND. Sollte man also so ein Teil mit persönlicher Botschaft verschenken wollen, müsste man dem Beschenkten die Botschaft mitteilen. Aber was für Möglichkeiten sich da auftun! Auf dem Heimweg phantasierten mein Liebster und ich von einer gestrickten Bibel oder von Thomas Manns Zauberberg als gestrickte Wolldecken für eine ganze Kurklinik.

In der heimischen Umsetzung dieser Idee - Stoff durch Sprache gemustert - fiel mir der digitale Schal bei Knitty ein, der ja nicht nur, wie in der Anleitung vorgeschlagen, eine zufällige Zifferfolge von Nullen und Einsen tragen müsste, sondern durchaus auch eine Bedeutung transportieren könnte. Überhaupt sollen ja schon die traditionellen irischen Strickmuster der Aran-Inseln - Zöpfe, Noppen, Waben, Rauten, Gittermuster - symbolische Bedeutungen besitzen, so dass das Gestrick zugleich gute Wünsche für den Träger ausdrückt. Die Strickmuster fungieren hier als ein Code - ein mehr oder minder willkürlich ausgewähltes Zeichen steht für eine bestimmte Bedeutung, die nur derjenige entschlüsseln kann, der den Code kennt.



Einen grundsätzlich anderen Umgang mit Sprache als Muster konnte ich unlängst in Sevilla bewundern. Im maurischen Palast sind arabische Kalligraphien in die Ornamentik der Wände und Decken eingearbeitet. Ob das noch jemand lesen kann ist zu bezweifeln, die Grundlage dieser verschlungenen Muster (auf dem Foto in den blaugrundigen Rändern) bildet aber die arabische Schrift, die durch Größenverschiebung, Übertreibung und Verzerrung zum Ornament wird.

Auch die lateinische Schrift hat ja durchaus dekoratives Potential - das ich aber weniger bei den üblichen T-Shirts mit Aufdruck sehe, egal ob da nun Yale University oder irgendeine sinnfreie pseudoenglische Botschaft steht. Über Schrift auf Stoff habe ich schon zu meinen zurückliegenden Patchworkzeiten nachgedacht und damals an gestickte Schreibschrift wie bei einem alten Brief gedacht. Jetzt könnte ich mir für Kleidung ein Ton-in-Ton bedrucktes Futter mit dekorativer Druckschrift vorstellen, mit hoffentlich herzerwärmenden Wünschen für die kalte Jahreszeit. Oder vielleicht einfach mit der Aufforderung "Nicht frieren!"

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