Freitag, 3. April 2015

Stoffspielerei im März: Seltene Techniken oder: ein erster Versuch mit Gabelhäkelei


Wie selten oder wie verbreitet Handarbeitstechniken sind, das ist ja oft eine Frage des Zeitpunkts: Moden und Begeisterungen treten in Wellen auf, das war schon im 19. Jahrhundert der Fall, und noch mehr heutzutage, wenn manche Hypes von der Handarbeitszubehörindustrie bewusst erzeugt werden. Ich habe mich für die Stoffspielerei mit der Gabelhäkelei beschäftigt, die derzeit nicht gerade einen Boom erlebt. Bei ravelry mit seiner unendlich scheinenenden Musterdatenbank gibt es keine 200 Anleitungen, die mich noch dazu nicht wirklich ansprechen. Ich wollte daher einfach etwas herumprobieren, ein Gefühl für die Technik und das Ergebnis bekommen, dementsprechend bin ich mal wieder über Probeläppchen nicht hiansugekommen.   

Wer gabelhäkeln will,  braucht zunächst einmal eine Häkelgabel. In den Anleitungen im Netz begegnen einem superfancy breitenverstellbare Gabeln, das ist die moderne (und teilweise sehr kostspielige) Variante. Dank der Abbildung im Reprint eines Handarbeitsbuchs von 1913 (Mizi Donner, Carl Schnebel: "Ich kann handarbeiten" - gibts antiquarisch sehr günstig unter dem Titel "Handarbeiten wie zu Großmutters Zeiten") identifizierte ich einen u-förmig gebogenen und leicht angespitzten starken Draht am Kurzwarenstand auf dem Markt als Häkelgabel - für 50 Cent, wenn ich mich richtig erinnere.


Wie funktioniert das nun mit der Gabel? Wie die Abbildungen im Buch nicht ganz so klar zeigen, wird der Arbeitsfaden immer um die rechte Zinke geschlungen, in der Mitte durch die vorige Schlaufe mit einer oder mehreren festen Maschen festgehäkelt, die Gabel gedreht, so dass sich der Faden wieder um die rechte Zinke schlingt, festgehäkelt, gedreht, festgehäkelt, und so weiter.

Es entsteht ein Band mit einer festen, aber elastischen Mitte und Garnschlaufen auf beiden Seiten. Wenn man das aus dicker, flauschiger Wolle, Bouclégarn oder ähnlichem häkelt, könnte man so ein Band als Borte bei einem chanelartigen Jäckchen einsetzen. Für diesen Grundstreifen gibt es noch ein paar Variationen, das Garn kann z. B. etwas anders geschlungen werden, so dass die Häkelreihe nicht in der Mitte des Streifens liegt und auf einer Seite größere, auf der anderen Seite kleinere Schlaufen entstehen.

So ein Streifen ist aber im Grunde noch nichts, für alle größeren, flächigen Gebilde werden nämlich mehrere Bänder zusammengehäkelt, gleichmäßig Schlaufe mit Schlaufe oder in abgezählten Gruppen, die Längsseiten von zwei Streifen aneinander, oder ein Streifen in Spiralen, die Streifen können direkt zusammengefügt werden, oder mit zusätzlichen Häkelreihen dazwischen - es gibt unendliche Möglichkeiten. Auf der Gabelhäkelei-Seite der Stitch Divas werden das Häkeln des Grundstreifens und einige Möglichkeiten des Weiterverarbeitens gezeigt, zum Teil mit Videos.   


Anhand der Beispiele in diesem Buch (Burda Häkel-Lehrbuch, Offenburg 1980) ahnt man auch, warum die Technik auf englisch "hairpin lace" heißt: Wenn man ein dünnes Garn und eine breite Gabel verwendet, erhält man sehr luftige, durchbrochene Gebilde. Spitzen, Fransen und Quasten scheinen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auch der hauptsächliche Anwendungsbereich der Gabelhäkelei gewesen zu sein.


Von einem Besuch im Modemuseum Meyenburg hatte ich aber eine andere Idee im Kopf: Dort war ein schlicht geschnittener Wollmantel aus den frühen 1920er Jahren in Gabelhäkeleitechnik ausgestellt (leider kein Bild, da Fotografierverbot). Der Mantel bestand aus lauter halbmondförmigen Segmenten, die aus dicht gehäkelten Basisstreifen zusammengesetzt waren, ohne Spitzeneffekt. Das Material sah wie ein richtiger Stoff mit einer leichten Rippenstruktur aus. In einem Handarbeitsheft, geliehen von Suschna, das vermutlich aus den späten 1920er Jahren stammt, siehe Bilder oben, sind Kissenbezüge und Kannenwärmer aus Wolle mit einer ähnlichen Struktur abgebildet.


Ich probierte ein bißchen herum und häkelte schließlich aus mitteldicker Wolle ein paar Basisstreifen und häkelte sie zusammen. Der Häkelstoff liegt sehr flach, wirkt sehr stabil und ist trotzdem in Längs- und Querrichtung dehnbar - wirklich faszinierend, ihr müsstet das mal in die Hand nehmen können, das Material hat weder Ähnlichkeit mit Gestricktem, noch mit Gehäkeltem.

Die Prozedur geht auch relativ fix, nur das Problem, wie man bequem die Anzahl der Schlaufen auf der Gabel zählen kann, habe ich noch nicht gelöst - mal sehen, ob es bei den Stitch-Divas-Tutorials einen Trick dafür gibt. Damit man Flächen mit geraden Rändern erhält, müssten die Basisstreifen nämlich immer aus der gleichen Anzahl Schlaufen bestehen, man darf nicht wie ich Streifen zusammensetzen, die nur ungefähr gleich lang sind, das sieht dann entsprechend aus. In den Anleitungen in dem oben abgebildeten Handarbeitsheft wird z. B. tatsächlich verlangt, einen Streifen mit 80 Schlaufen aus Farbe A herzustellen, einen Streifen mit 160 Schlaufen aus Farbe B, der dann mit A verbunden wird, und so weiter - entspannte Handarbeit stelle ich mir anders vor.

Was könnte man nun mit dieser Technik anfangen? So ein dichter, "gabelgehäkelter" Stoff wäre tatsächlich ein gutes Material für Kleidung, man könnte die Schnittteile exakt nach Schnittvorlage anfertigen. Ich möchte auch noch festes Baumwollhäkelgarn ausprobieren, vermutlich entsteht dabei ein robustes Material, das sich zum Beispiel für Taschen eignen könnte. Einstweilen lasse ich euch mit diesem etwas unbefriedigenden Ergebnis zurück - wie so oft bei den Stoffspielereien habe ich das Gefühl, allenfalls an der Oberfläche gekratzt zu haben. Da sind einige Mitstreiterinnen dieses Mal doch deutlich weiter gekommen! Die Links der Projekte werden dieses Mal bei Suschna - Textile Geschichten gesammelt - vielen Dank!  

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Die monatliche Stoffspielerei ist eine Aktion für textile Experimente. Sie ist offen für alle, die mit Stoff und Fäden etwas Neues probieren möchten. Der Termin soll Ansporn sein, das monatlich vorgegebene Thema soll inspirieren. Jeden letzten Sonntag im Monat sammeln wir die Links mit den neuen Werken – auch misslungene Versuche sind gern gesehen, zwecks Erfahrungsaustausch.

Der vorläufige Plan für die nächsten Monate, kurzfristige Terminänderungen sind möglich:

26. April hier im Blog, Thema: Stoff und Farbe
31. Mai KaZe, Thema: Inspiration Kunst (mit Quellenangabe)
28. Juni Frifris, Thema: Knöpfe
26. Juli SOMMERPAUSE

11 Kommentare:

  1. So eine Gabel kenne ich, meiner Mutter habe ich letztes Jahr erst eine neue besorgt. Da ich gerade bei meinen Eltern zu Besuch bin habe ich gleich mal gefragt , was sie damit hergestellt hat und sie hat prompt ein Top für den Sommer aus dem Schrank geholt. Der Mittelteil ist gegabelt und die Träger und der Abschluss unten gehäkelt, ich werde das Teil dann gleich mal fotografieren.
    Ein Mantel in der Technik ist auf jeden Fall auch eine sehr spannende Idee aber ich stelle mir das furchtbar aufwendig vor, das klingt nach einer echten Geduldsprobe.
    Viele Grüße
    Sylvia

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  2. Ende der Siebziger hatte ich mir mal eine weite Baumwollbluse mit einer recht filigranen Passe in Gabelhäkelei gemacht. Die Bluse habe ich noch, weiß nur nicht, ob sie so schnell finde. Wenn ja kann ich auch mal ein Foto machen.
    LG
    Susanne

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  3. Also ich finde das ja sehr gut, dass du die Sache getestet hast. Schlaufenzählen wäre auch so gar nicht mein Ding. Aber diese ungestrickte/ungehäkelte Optik gefällt mir sehr, erinnert mich auch an die Stricksachen von Delaunay. Und als Borte auch gut, vielleicht wäre das mein erstes Ziel. Danke mal wieder fürs Auskundschaften. Verlinke später, komme gerade schlecht in den Blog. Schönes Osterfrühstück!
    lg sus

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  4. Ich habe vor ein paar Jahren auch mal mit Gabelhäkelei experimentiert, nachdem ich in Omas Strick- und Häkelnadeln so ein U-förmiges Teil entdeckt hatte. Ich habe mir dann aus mehreren aneinander gehäkelten Streifen einen Schal gemacht, den ich jedoch kaum benutzt habe. War halt doch zu fest. Und die Ränder waren so ungleichmäßig. Hab mich dann nie wieder mit der Technik beschäftigt, es schien mir, als müsste ich noch wahnsinnig viel probieren um irgendetwas sinnvolles zu erhalten.
    LG
    anne

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  5. Achja, Gabelhäkelei - schön!!
    Da habe ich mir als Teenager mal einen rosanen Fledermauspulli gehäkelt. Man bekommt schnelle Ergebnisse und interessant sieht es auch noch aus.
    Um das Zählen der Schlaufen zu vermeiden, gibt es wohl keinen Trick.
    Frohe Ostern!!
    Petra

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  6. Witzig, dass du über Gabelhäkelei schreibst... Ich gehörte zum letzten Jahrgang Mädchen an meiner Schule, die Handarbeitsunterricht hatten. In diesem Fach wurden wir ein paar Unterrichtseinheiten lang mit Gabelhäkelei beschäftigt. Ich hatte zwei Gabeln unterschiedlicher Breite und stellte damit sehr lange Schlaufenschlangen aus sehr dünner leuchtend gelber Baumwolle her. Anschiessend wurden die Schlangen wie von dir beschrieben zusammengehäkelt, sodass ein Rechteck entstand. Dieses wurde zu einem Einkaufsnetz weiterverarbeitet. Es wurde übrigens nie benutzt, da auch damals 12jährige Mädchen in der Regel keine Verwendung für Einkaufsnetze hatten. ;)) LG Doro

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  7. Na das hätte och ja fast verpasst, weil jetzt erst entdeckt.Schön, dass du es doch nich geschafft hast.damit hatte ich auch geliebäugelt, aber als klar war, du probierst, konnte ich mich anderss entscheiden.
    Die Verwendbarkeit ist sicher ein Thema, aber die Optik und die Farbigkeit deines Stückes läßt vermuten, dass es vielleicht doch mal wieder an die Oberfläche der Handarbeitstechniken geholt wird.
    Ich hatte an Muff oder Pelzersatz an Kragen und Manschette gedacht, aber evtl. liege ich da falsch.
    Vielleicht sollten wir alle mal ne Runde gabeln?!
    Viele Grüße karen

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  8. Also so eine verstellbare Gabel habe ich mir ganz einfach selbst gebaut: Einfach ein Vierkant und ein Rundholzstab kaufen. Aus dem Vierkantstab habe ich zwei 15cm lange Stücke gesägt, und Löcher in bestimmten Abständen gebohrt. Die Löcher haben denselben Durchschnitt wie das Rundholz. Das Rundholz habe ich in 2 ca. 25 cm lange Stücke gesägt, jeweils eine Seite habe ich mit einem Bleianspitzer leicht angespitzt. Oben und unten die Vierkantstücken einfach über die Rundhölzer stecken, fertig. Wenn die Gabelhäkelei dann fertig ist, einfach ein Vierkantholz abnehmen, die Häkelei abziehen und wieder draufsetzen.

    Das ist so eine ähnliche Anleitung:
    http://littleprojects.blogspot.de/2006/07/make-your-own-hairpin-crochet-loom.html

    Kostenpunkt: ca. 2-3 € ... wenn überhaupt.

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  9. ich behelfe mir beim Schlaufenzählen einfach damit, daß ich sie päckchenweise mit Sicherheitsnadeln zusammenfasse. Das empfiehlt sich vor allem bei langen Werkstücken, bei denen die Gabel mehrmals voll wird und abgeladen werden muß
    Ich mach derzeit eine Stola aus Mohairwolle mit 450 Schlingen pro Bahn, die ich in 20er Gruppen mit Sicherheitsnadeln einfange. Auf einer Seite immer silberne, auf der anderen Seite schwarze Nadeln. So können die Streifen auch nicht so leicht verdreht werden, wenn man sie zusammensetzt.

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  10. Das Problem des Schlaufenzählens löse ich immer mit Sicherheitsnadeln: 10 Schlaufen pro Sicherheitsnadel und die dann mit weiteren Nadeln zu 50er Päckchen .
    Ging vor ein paar Jahren bei einer Mohair-Stola mit 350 Schlaufen pro Reihe recht gut :)
    Bei dickeren Garn würde ich einfach in jede soundsovielte Schlinge eine Nadel als Markierung einhängen.

    Schön, daß es doch noch ein paar Gabelhäklerinnen gibt =)

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    1. Danke für deinen Tipp! Schön, dass hier noch jemand die alten Beiträge liest.

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