Dienstag, 30. Juni 2015

Spannend wie ein Krimi: "Dior und ich" im Kino


Filme, in denen Mode und Nähen die Hauptrolle spielen, sind selten, daher hätte ich mir "Dior und ich" auf jeden Fall angesehen, der Film ist aber so spannend und interessant, dass ich hier eine Empfehlung loswerden muss.

Die Dokumentation von Frédéric Tcheng begleitet die Entstehung der ersten Haute-Couture-Kollektion von Raf Simons für Dior im Sommer 2012. Simons hatte den Posten unter schwierigen Umständen angetreten: John Galliano war als Chefdesigner im Frühjahr 2011 gefeuert worden, die folgende Kollektionen, von seinen Assistenten fertiggestellt, hatten nur mäßige Begeisterung hervorgerufen. Als Simons im April 2012 Nachfolger Gallianos wird, sind es nur noch wenige - eigentlich zu wenige - Wochen bis zu den Haute-Couture-Schauen in Paris, und Simons, der zuvor bei Jil Sander beschäftigt war, hat zuvor noch nie zuvor in einem Couturehaus gearbeitet.

Die Macht und das Selbstbewusstsein der Ateliers nicht zu unterschätzen, in denen jedes einzelne Modell in Handarbeit hergestellt wird, gehört zu einer der ersten Lernaufgaben Raf Simons. Man begreift, dass der wahre Reichtum des Hauses Dior tatsächlich in seinen Ateliers liegt, wenn man miterlebt, wie diese hochspezialisierten Handwerkerinnen und Handwerker die Skizze eine Kleides Linie für Linie, Falte für Falte, Abnäher für Abnäher durch Drapieren an der Puppe in ein Nesselmodell übersetzen. Sie sind es, durch die aus der Skizze ein Entwurf wird - und auch wenn der Designer später hier und da noch einen Milimeter wegnehme, ändere das nichts daran, dass das in erster Linie ihr Kleid sei, wie eine der Näherinnen erklärt. 


Dass Haute Couture eine Gemeinschaftsleistung ist, Design nicht aus dem Nichts kommt und Inspiration nicht vom Himmel fällt, sind die Aspekte, die mir an dem Film besonders gefallen haben. Simons taucht in die Skizzen und Musterbücher aus dem Archiv des Hauses ein, lässt sich alte Originalmodelle vorführen, besucht die Villa Diors und dessen Garten und entwickelt mit einem Team von Designern Ideen, die durch ständige Auswahl und Verfeinerung zu Konzepten geschärft werden. Zitate aus dem Memoiren Christian Diors, der besonders über seine öffentliche Rolle als Designer nach dem Erfolg des "New Look" reflektierte, und alte Aufnahmen früher Modenschauen bilden eine zweiten roten Faden der Dokumentation. Dazwischen wird es auch einmal komisch - wenn dem eher zurückhaltend veranlagten Raf Simons die Notwendigkeiten moderner Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nahegebracht werden - und schließlich daramatisch, wenn nur noch wenige Stunden bis zur Show und dem Auftritt vor der Fotografenmeute bleiben.

Diese Spannung, die der Film auch ohne Überdramatisierung erreicht, seine Dichte und Schnelligkeit, machen die Dokumentation auch für Nicht-Nähende und Nicht-Modeinteressierte sehenswert. Niemand wird langatmig mit Nähdetails gelangweilt, aber auch als Nähnerd hat man nicht das Gefühl, dass dieser Teil der Geschichte zu kurz kommt. Ich würde mir den Film am liebsten gleich noch einmal angucken, bestimmt habe ich viele Details gar nicht wahrnehmen können.

Zur Einstimmung auf den Kinobesuch, den ich sehr empfehle, hier die Bilder der Show, die das Ergebnis aller Anstrengungen war: Christian Dior Autumn/Winter 2012.

Sonntag, 28. Juni 2015

Stoffspielerei im Juni: Knöpfe mit Wolle beziehen


Knöpfe sind das Thema der Stoffspielerei im Juni, vorgeschlagen und gesammelt von frifris.
Ich habe endlich eine Anleitung für bezogene Knöpfe von der Strickdesignerin Kate Davies ausprobiert, die schon sehr lange in meinen ungeordneten Lesezeichen schlummerte und auf die ich zuerst durch manufacta-est aufmerksam geworden bin. Ich bin diesmal wohl nicht die einzige, die sich diese Anleitung herausgesucht hat, zeigt der Blick in meine Blogroll, und gestern Abend bei twitter entdeckte ich bei der Luise die gleiche kleine Pappscheibe, die man für die Herstellung braucht.


Das Beziehen der Knöpfe geht so: Die Wolle wird speichenförmig aufgespannt und die Speichen werden anschließend umwebt - genau wird das im Tutorial von Kate Davies gezeigt. Man webt gegen den Uhrzeigersinn und schlingt den Faden einmal über den Spannfaden, dann unter den nächsten zwei Fäden durch. Ich habe verschiedende Wollreste ausprobiert, die grüne Wolle hier unten ist Sockenwolle, da braucht man ziemlich viel Garn. Es ist aber kein Pronlem, mittendrin neu anzusetzen, Fadenende und -anfang werden dann einfach in den nächsten Runden mit überwebt. 


Wenn die Pappscheibe bis zum Rand vollgewebt ist, wird der Faden durch die Schlaufen auf der Rückseite geschlungen und das gewebte Teil wird von der Pappscheibe genommen. In die Mitte legt man den Knopf, zieht den Rand zusammen und vernäht den Faden kreuz und quer einige Male, das ist alles. Die hübsche, seeigelartige Struktur entsteht ganz von selbst. Der Knopf hat hier 2,5 cm Durchmesser, die Pappscheibe 5 cm Durchmesser.


Da die Knöpfe ziemlich dick sind, sind sie zum richtige Knöpfen durch ein Knopfloch nicht so gut geeignet. Ich kann sie mir aber sehr gut als Zierknöpfe vorstellen, zum Beispiel auf einem Mantel, der mit Druckknöpfen geschlossen wird. Man könnte hässliche Knöpfe so beziehen oder Einzelstücke aus der Knopfsammlung so angleichen. Und man könnte allerlei Dekoratives damit anstellen: Zierknöpfe auf Kissen nähen, oder mehrere Knöpfe zu einem Armband oder einem Collier zusammenfügen.


Ich bin übrigens auch ein Knopf-Aufheberin, die jedes Tütchen mit Ersatzknopf in die Knopfkiste legt und bei alter Kleidung, die nicht mehr getragen werden kann, die Knöpfe abtrennt. Da ich mittlerweile auch zwei Knopfsammlungen übernommen habe, gibt es mehrere Dosen mit Knöpfen hier im Nahtzugabe-Haushalt, in denen ich aber trotzdem oft nicht den richtigen Knopf finde.

Merkwürdigerweise habe ich in letzter Zeit gleich zwei Frauen kennengelernt, die eine leichte Knopf-Phobie haben. Die eine findet vor allem das Marmeladenglas mit Ersatzknöpfen eklig, das ihr Freund in der Küche stehen hat, und schiebt es immer außer Sichtweite, wenn sie dort ist. Das Schlimmste seien aber verlorene Knöpfe, die irgendwo auf dem Boden liegen. Ich hebe solche Knöpfe ja oft auf, wenn sie hübsch sind - das dürfte ich nicht tun, wenn U. dabei ist, denn das würde einen Ekelanfall bei ihr auslösen. Die zweite sucht sich immer Kleidung ohne Knöpfe aus, sie trägt also nur Jacken und Mäntel mit Reißverschluss, keine Blusen, und hat schon öfter Kleidungsstücke nicht gekauft, weil sie Knöpfe hatten. Ich vermute ja, dass die Abneigung gegen Knöpfe gar nicht so selten ist, nur ist das Verhältnis zu Knöpfen ja eher selten ein Gesprächsthema, daher erfährt man nichts darüber. Glücklicherweise kommt man mittlerweile durch die ganzen alternativen Verschlussmöglichkeiten auch ohne Knöpfe ganz gut durchs Leben.

Ob die ganzen Geschichten wahr sind, die sich um die Bedeutung von Knöpfen bei traditioneller Bekleidung ranken, würde ich ja auch gerne wissen. In der Literatur über Trachten liest man häufig, dass die Knöpfe aus massivem Silber waren und die Träger damit ihren Wohlstand zeigten: je mehr Knöpfe an der Jacke, desto reicher der Bauer. Oder Knöpfe in der Literatur: Die Intrige um die Diamantknöpfe der Königin bei den drei Musketieren, der Roman der "Krieg der Knöpfe" von Louis Pergaud, oder der unvergleichliche Jim Knopf von Michael Ende, für den sich Frau Waas das praktische, auf- und zuknöpfbare Loch in der Hose ausgedacht hat: nicht mehr flicken, einfach nur noch knöpfen! 

In Warthausen, zwischen Ulm und Biberach, gibt es übrigens ein Knopfmuseum, vielleicht gibt es dort noch mehr Knopfgeschichten? Für heute sammelt frifris die Knopfspielereien der Teilnehmerinnen.

*Die monatliche Stoffspielerei ist eine Aktion für textile Experimente. Sie ist offen für alle, die mit Stoff und Fäden etwas Neues probieren möchten. Der Termin soll Ansporn sein, das monatlich vorgegebene Thema soll inspirieren. Jeden letzten Sonntag im Monat sammeln wir die Links mit den neuen Werken – auch misslungene Versuche sind gern gesehen, zwecks Erfahrungsaustausch.

Im Juli pausieren die Stoffspielereien, im August geht es weiter mit dem Thema "Es war einmal ein Oberhemd" (30. 8., Susanne), im September "Falten" (27. 9., Martina), im Oktober "Spitze" (25. 10., Karen).

Mittwoch, 24. Juni 2015

Wo bleibt der Sommer, oder: Rock 108 aus Fashionstyle 5/2015


Heute bin ich Gastgeberin beim Me made Mittwoch, der allwöchentlichen Verlinkungsaktion für selbstgenähte Kleidung und zeige dort einen - in Erwartung des Sommers - genähten Gummizugrock. An heißen Tagen (die wir allerdings (noch?) nicht haben) finde ich solche bequemen, lockeren Kleidungsstücke, die frau nur überwerfen muss, enorm praktisch.

Fürs Schnittarchiv hier nochmal die Details zu Rock und Bluse:
Die Bluse ist ein Schnitt aus Burda 6/2006, im letzten Herbst genäht und wurde hier schon beschrieben.

Der Rock ist die Nummer 108 aus Fashion Style 5/2015, der deutschen Ausgabe der holländischen Knip Mode. Über die Zeitschrift, die ziemlich neu auf dem Markt ist, hatte ich hier schon kurz geschrieben. Die Ausgabe, die in Holland zu Anfang jedes Monats erscheint, kommt bei uns erst zum Ende des Monats heraus.


Wie man sieht, ist Rock 108 ein ganz einfaches Modell mit einem doppelten Gummizug und Knopfleiste. Der Beschreibung gelingt es aber, dieses simple Teil mit Taschen in der Seitennaht so zu verkomplizieren, dass ich den Schnitt Nähanfängern wirklich nicht empfehlen kann, auch wenn die Schnittbögen schön übersichtlich sind. Bei meiner erstem Fashion-Style-Heftvorstellung schrieb ich ja, dass ich wegen des Lektorats der Anleitungtexte durch Mia Führer (die einige Nähbücher geschrieben hat) mit gut nachvollziehbaren Anleitungen rechne, aber dieses Urteil muss ich revidieren, jetzt wo ich mir ein Modell näher angesehen habe. Das ginge mit wenig Aufwand wirklich viel, viel verständlicher, zum Beispiel wenn man die Schnittteile beim Namen nennen und nicht immer nur von "Teilen" sprechen würde. 


Der Schnitt verlangt ja fast 2 Meter Stoff, ich hatte aber nur 1, 50 m von der flatterigen Viskose und musste daher die Knopfleiste stückeln - siehe Bild oben. Das sieht man aber fast gar nicht, weil ich in den Partien ohne Muster ansetzen konnte. Ich habe die Streifen zusammengenäht, die Naht auseinander gebügelt und dann erst die Einlage aufgebügelt. Der Streifen für den Gummizugtunnel ging beim besten Willen nicht mehr raus, der ist aus einem blau-weiß-gestreiften Baumwollstoff. 


Mehr blieb nicht übrig - das fühlt sich ja immer wie ein Erfolg an.

Was nicht in der Anleitung steht, aber wichtig zu erwähnen wäre: Da die Rockteile glockig geschnitten sind, sollte man sie vor dem Säumen aushängen lassen. Ich habe das nicht gemacht und habe daher schon jetzt einen Zipfel am Rocksaum, wie man sieht. Da das passende Wetter sowieso noch auf sich warten lässt, lasse ich ihn jetzt noch etwas abhängen, und säume dann nochmal neu.

Samstag, 20. Juni 2015

Die Modegalerie im Berliner Kunstgewerbemuseum


Schon lange wollte ich über die Wiederöffnung des Kunstgewerbemuseums und die neue Modeausstellung schreiben, das fiel mir gestern Abend bei einer Unterhaltung wieder ein (und man sieht auch am ersten Foto, dass ich schon vor einer Weile dort war) - also nun:

Das Berliner Kunstgewerbemuseum auf dem Kulturforum am Potsdamer Platz war ja ein paar Jahre wegen Umbau geschlossen und ist seit November letzten Jahres wieder geöffnet. Am Gebäude selbst, einem ziemlich unmöglichen Klotz voller Treppen und verwinkelter Nischen, der es nicht gerade leicht macht, sich zu orientieren, hat sich nicht viel geändert, neu ist die Modeausstellung im Erdgeschoss, die man durch einen dunklen Gang erreicht, der sich überraschend zu einer Folge raumhoher beleuchteter Schaufenster öffnet. Man flaniert dann wie in einer Ladenpassage an den Schaufenstern entlang, in denen die Kleider an weißen Schneiderpuppen präsentiert werden. Taschen, Schuhe, Handschuhe, Fächer und andere Accessoires stehen in kleineren Vitrinen an der Wand und können so ganz aus der Nähe betrachtet werden.


Die Ausstellung in der Modegalerie setzt mit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein und und endet mit den 1980er Jahren. In den oberen Etagen des Hauses gibt es innerhalb der Dauerausstellung noch zwei weitere Modefenster, die man ein wenig suchen muss, eines mit der Mode des 18., und eines mit Kleidern und Hüten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.


Die Präsentation der Kleider zeigt Sinn für die effektvolle Inszenierung, auch wenn die Kleidung ohne Accessoires gezeigt wird. Als Betrachterin steht man fast auf einer Ebene mit den Puppen, man sieht die Kleider also so, wie man die Kleidung seines Gegenübers sieht, und man kann hervorragend Vergleiche anstellen, was die Vorliebe vergangener Epochen für bestimmte Körperformen angeht. Die Kleider in den Vitrinen lassen Rückschlüsse auf die Statur der früheren Trägerinnen zu - wenn halbwissenschaftliche Bücher zur Kostümgeschichte ausdauernd über die schreckliche Folter des Korsetts im 18. und 19. Jahrhundert schwurbeln, dann wird dies sehr relativiert, betrachtet man die winzigen Schuhe und Handschuhe in den Vitrinen: zum großen Teil waren die Frauen einfach sehr viel kleiner als wir, und ein geringerer Taillenumfang als heute üblich erklärt sich einfach aus dieser Größendifferenz.      


Auf diese Weise kann man sich manches erschließen, denn leider werden die Ausstellungsstücke nur durch wenige und recht oberflächliche Texte begleitet. Ein paar längere Tafeln leisten eine grobe Charakterisierung der Epoche, aber weder zum sozialen Kontext, in dem die gezeigten Kleider stehen, noch zu Materialien und Fertigungstechniken erfährt man viel. Etwa auf halber Strecke gibt es in der Modegalerie einen Nebenraum, in dem einige kurze Filme in Dauerschleife gezeigt werden, unter anderem ein Einblick in die Restaurationswerkstätten und ein Film aus dem frühen 20. Jahrhundert, in dem man die Jahrhundertwenderoben in Bewegung an echten Frauen sehen kann.

Als Modebegeisterte erfreue ich mich natürlich an den wunderschönen und bestens erhaltenen Kleidern. Worth, Poiret, Vionnet, Chanel, Dior, Balenciaga - alle wichtigen Modeschöpfer sind mit mindestens einem Exponat vertreten. Vom plissierten Delphos-Kleid von Fortuny bis zum metallbehangenen Shiftkleid von Rabanne ist alles dabei, was Epoche gemacht hat, und gerade da hätte ich mir wesentlich mehr modehistorische Einordnungen gewünscht. Wer sich sowieso schon gut in der Modegeschichte auskennt, wird die Kleider wie gute alte Bekannte begrüßen und um ihre Bedeutung wissen - wer sich nicht auskennt, wird hier vermutlich nicht viel dazulernen. Schade, denn so bleibt die Modegalerie letztlich nur eine Aneinanderreihung schöner Kleider.

Aber immerhin: dass es in Berlin überhaupt wieder eine dauernde Modeausstellung gibt, ist ja schon mal ein großer Fortschritt, und dass der Geldmangel und die dünne Personalausstattung der staatlichen Museen keine großen Sprünge erlaubt, weiß ich auch. Deshalb: schaut euch die Modegalerie an, wenn ihr in Berlin seid. Mein Lieblingskleid in der Austellung war übrigens das weiße Abendkleid mit schwarzem Muster (im Foto oben ganz links). Ein Kleid aus den 1960er Jahren, das Oberteil mit zwei großen, übereinander liegenden Schleifen besetzt.

Montag, 8. Juni 2015

Nicht gemacht für diese Welt


Seitdem ich endlich begriffen habe, dass herkömmliche Blazer nicht besonders gut zu mir und meinem Leben passen, checke ich andere Jackenschnitte auf ihre Alltagstauglichkeit aus. Die Jacke Mona aus Maison Victor, dem neuen Nähheft aus Belgien, stand als erstes auf der Liste, und ich schnitt sie aus einer herrlichen Woll-Viskosemischung zu. Ein wunderbar weicher, tweedähnlich grob gewebter schwarzer Stoff mit Waffelstruktur aus dem Marc-Aurel-Fabrikverkauf in Verl.

Ich bin von dem Stoff begeistert, tolle Haptik, tolle Struktur, er lässt sich sehr gut nähen und bügeln - aber ach, alltagstauglich ist er wohl nicht. Der Stoff ist so locker gewebt, er zieht quasi schon Fäden, wenn man ihn nur einmal scharf anguckt. Oder besser formuliert (pauschal von "Alltagstauglichkeit" zu reden, ist ja Quatsch, schließlich sieht der Alltag bei jeder anders aus): er wäre tauglich für einen Alltag ohne Ecken und Kanten, ohne Parks und Parkbänke, ohne öffentlichen Personennahverkehr, ohne Gürtelschnallen und Armbanduhren, und vor allem für einen Alltag ohne Umhängetaschen. Aber wer hat schon so einen Alltag, der entweder gepolstert oder gut abgeschmirgelt sein muss, um so einem Stoff gerecht zu werden? Ich jedenfalls nicht, und jetzt werde ich der Jacke noch ein Futter spendieren, und mir überlegen, ob ich sie lieber ganz normal in meinem Alltag anziehen werde und dann eben nach drei Wochen wie ein gerupftes Huhn aussehe, oder ob ich versuchen werde, sie zu schonen. 


Den Schnitt Mona finde ich aber schon mal sehr vielversprechend. Die Schultern sind erheblich schmaler als bei Burdaschnitten, der ganze Schulter- und Brustbereich passte bei mir auf Anhieb ziemlich gut, jedenfalls aus dem schmiegsamen empfindlichen Wollstoff. Wenn die Jacke fertig und getragen ist, poste ich auf jeden Fall noch eine Schnittbesprechung.

Zum Trost angesichts der begrenzten Lebensdauer dieser Jacke habe ich gleich eine zweite Version zugeschnitten, aus einem ziemlich verrückt gemusterten festen Baumwollstoff vom Markt. Das Muster erinnert an die Scherenschnitte aus den letzten Lebensjahren Henri Matisses. Was mich daran anzog, war vor allem das satte, strahlende, aber nicht grelle Blau der Ornamente, eine Farbe, die man so nur sehr selten findet. Ich nahm zwei Meter mit, ohne ein konkretes Projekt im Kopf, und dachte mir, durch geschickten Zuschnitt werde sich das wilde Muster bestimmt irgendwie irgendwann bändigen lassen.


Tja, ich bin noch sehr unschlüssig, ob mir das gelungen ist (hätte aber noch reichlich Stoff für weitere Versuche da). Aber schlimmstenfalls habe ich eben zwei Mona-Jacken, die beide auf ihre Weise nicht für meinen Alltag tauglich sind - das muss man ja auch erst einmal schaffen!

Mittwoch, 3. Juni 2015

Rückblick: Von Pyjamas, Bloggertreffen und Jeansexpertinnen

Mit dem Frühling möchte ich auch die Rubrik der Wochenrückblicke und Artikelempfehlungen wieder aufnehmen. Ich finde es jedes Jahr wieder erstaunlich, wie belebend längere Tage und mehr Tageslicht auf mich wirken. Anfang März wird plötzlich alles besser, heller, freundlicher, ich fühle mich einige Tage wie ein Maulwurf, der die Nase aus seinem Bau steckt und in die Sonne blinzelt, und ich bekomme auf einmal wieder Lust, Aktivitäten außerhalb der Wohnung nachzugehen.


Zugleich habe ich gerade ganz schön viel zu tun, und was macht man am besten, wenn man viel zu tun hat? Genau, man erledigt erstmal etwas vollkommen Unwichtiges. Und so nähte ich mir einen aufwendigen Pyjama mit selbstgemachten dunkelblauen Paspeln. Der schöne glatte Baumwollstoff für die Hose stammt vom Tauschtisch in Bielefeld (es könnte sein von Monika?). Für ein Oberteil hätte er nicht mehr gereicht, daher kam dafür ein Baumwollsatin vom Markt zum Einsatz, von dem ich nur etwas über einen Meter hatte, also musste ich für innere Ärmelblenden, Unterkragen und Halsbeleg mit hellblauem Stoff aushelfen. Schnitt 125 aus Burda 12/2006, Hosenbeine verlängert.  


Koreanisch ist das neue... Chinesisch? Ich bin eine experimentierfreudige Esserin und mag die asiatischen Küchen gerne, und ganz besonders koreanisches Essen, seitdem ich es Anfang der 2000er im Leipziger Tobagi entdeckte. Die koreanischen Restaurants sprießen hier in Berlin gerade wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden. Anfang des Jahres eröffnete gefühlt jede Woche ein neuer Laden in den bevorzugten Lagen in Mitte, Kreuzberg und Neukölln, und über einen Neuzugang freue ich mich besonders. Die zweite Filiale des Mmaah ist nämlich quasi vor der Haustür, deutsch-koreanisches Crossover: Bulgogi trifft Pommes rot-weiß.


Das Bloggertreffen in Leipzig Anfang Mai, organisiert von Frauenoberbekleidung, Wolleliese,Wilkavera, Ida und Anne (ich hoffe, ich habe niemanden vergessen?) war in jeder Hinsicht prima. Sehr nette Gesellschaft auf der Fahrt, Stöbern in Stoffläden, Wiedersehen mit bereits Bekannten und Kennenlernen neuer Bloggerinnen und Leserinnen, ein netter Abend mit leckerem Buffet, am nächsten Tag Stadtführung und Kaffeetrinken - ich hatte viel Spaß und habe kein einziges brauchbares Foto gemacht.

Tolle Leipzig-Bilder und Berichte gibts aber zum Beispiel bei der Luise und bei Rothedinge. Ich zeige euch stellvertretend nur die beiden Stoffe, die ich mit zurückbrachte: die sommercocktailfarbene Spitze sprang mich am ersten Abend auf dem Tauschtisch an, zusammen mit der Idee, den Stoff mit einer anderen Farbe zu unterlegen und daraus einen Halbtellerrock herzustellen. Solchen Eingebungen, wenn ein Kleidungsstück schon fix und fertig vor dem inneren Auge aufblitzt, muss nach meiner Erfahrung unbedingt nachgegangen werden. Ich werde das bald in Angriff nehmen, denn so ein Spitzenrock scheint mir das ideale Kleidungsstück für laue Sommernächte. Vielen Dank, Max Lau, für den wunderbaren Stoff!

Der zweite Stoff sind 30 cm Luxus - bei der Ankunft in Leipzig schlugen wir nämlich zuerst den Weg zum Stoffekontor ein. Ein toller, großer Laden mit teilweise wirklich wunderbaren Stoffen - aber die Preise sind für jemanden aus dem Paradies des günstigen Materials teilweise schon etwas schockierend, und dabei nehme ich nicht mal unseren Markt als Maßstab. Constance kaufte zur Erinnerung ein klitzekleines Stück edlen Stoff, als Akzentstoff  für ein Nähprojekt in Kombination mit Uni-Stoff und als Leipzig-Souvenir, und ich fand die Idee so gut, dass ich mir auch einen aussuchte: einen schwarzgrundigen Patchworkstoff mit Golddruck. Der aller-allerschönste und gleichzeitig absurdeste Moment der Reise war übrigens, als Birgit, Constance und ich am Sonntag Morgen im Schlafanzug mit Kaffee auf dem Balkon unserer Gastgeberin saßen und unsere Stoffe streichelten. Nur Nähnerds können das nachempfinden!


Die Netzfundstücke:

Mantelinspiration (für den nächsten Winter dann) und zugleich sinnvolles Textilrecycling: Das Amsterdamer Designduo Wintervacht schneidert aus jahrzehntealten Wolldecken wunderschöne schlichte Wintermäntel, die vor allem von den ungewöhnlichen Farben und Mustern leben. Für Frühjahr und Sommer gibt es Tops und Shorts aus alten Vorhängen.

Die Feinstrumpfhose ist vermutlich das Kleidungsstück mit der kürzesten Lebensdauer, eine Laufmasche, und sie fliegt in den Müll. Nicole Kiersz beschäftigte sich in ihrer Abschlussarbeit Textildesign mit dem Feinstrumpf und entwickelte eine Möglichkeit, ihn mit anderen Materialien zu verweben und so neue Stoffe zu schaffen - und gewann mit ihrer Arbeit außerdem den bayerischen Staatspreis Textildesign.

Papierschnittmuster und Modeillustrationen fallen in der akademischen Welt in die Rubrik "Gedöns", weshalb es nur wenig erst zu nehmende Beschäftigung damit gibt. Eine der wenigen Ausnahmen bilden die Commercial Pattern Archives, ein Sondersammelgebiet der Bibliothek der Universität von Rhode Island, das über 40 000 Schnittmuster von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart beherbergt. Die dazugehörigen Illustrationen und schematischen Darstellungen der Schnittteile sind digital erschlossen und können in einer (allerdings kostenpflichtigen) Datenbank durchsucht werden - unter "Sample" kann man einen kleinen Einblick gewinnen. Die Kuratorin der Sammlung, Joy Spanabel Emery, veröffentlichte außerdem ein Buch über die Geschichte der Schnittmusterindustrie (auszugsweise hier bei Google Books).

Zur Zeit liest man dauernd, was mit 3D-Druckern angeblich alles Tolles hergestellt werden kann, es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Geräte in jedem Haushalt vorhanden sein werden. Eine chinesische Firma stellte nun auf einer Messe Brautkleider aus dem 3D-Drucker vor - aber bis diese Kleider wirklich das Erscheinungsbild der Brautmode verändern werden, wird es wohl noch etwas dauern: ein Schleier aus dem Drucker kostet 20 000 Yuan, etwa 2984€.

Teure Textilien, aber handgemachte, kommen auch aus Bangladesch, dem Land, das bei uns wie kein anderes für Billigklamotten steht. Die Weberinnen und Weber der Jamdani-Stoffe sind hingegen hochspezialisierte und sehr gesuchte Handwerkerinnen und Handwerker.

Die Ginger Jeans von Closet Case Files löste kürzlich eine kleine Jeansnähwelle aus, und wer den Schnitt noch auf der Nähliste hat und sich über die Verarbeitung den Kopf zerbricht: im auch sonst sehr lesenswerten Blog von Carmen Roetsch gibt es eine tolle Serie über das Nähen einer Jeans. Sehr interessant fand ich auch die Experimente von Frau Lotterfix, um beim Absteppen der Jeansnähte den richtigen professionellen Look zu erzielen. Sie konstruierte sich ihren Jeansschnitt übrigens selbst nach Hofenbitzer - sehr beeindruckend!