Dienstag, 31. August 2010

Nach der Party


Und was für eine Party! Ein rauschendes Fest. Stellt euch den letzten schönen, warmen Sommertag vor, eine kleine, weiß getünchte Kapelle mit neogotischen Bögen, ein Herrenhaus mit Türmchen und großer Freitreppe an einem mit Kies bestreuten Hof, eine Wiese mit Crickettoren, einen Teich mit Seerosen und Trauerweiden.
Zu gerne hätte ich fotografiert! Die Tischdekoration aus verschiedenen rosa Gartenrosen, Hortensien und Wicken, die Wiesenblumenkränze an den Kirchenbänken, die offenen Fenster mit leicht im Wind wehenden Vorhängen, der Blick auf den See in der sinkenden Sonne, die cremeweiß bezogene Stuhlreihe im Saal, die Hochzeitstorte, das Feuerwerk.
Nicht vergessen seien die kleinen Pannen, die auf ihre Art ein Fest erst einzigartig machen, zum Beispiel die schrille und sehr laute Sopranistin und der Orgelspieler, der beim Bach-Präludium nicht ganz unauffällig danebengriff, und die im Teich davonschwimmende Kindersandale, die durch den Einsatz zweier Väter gerettet werden konnte.

Da meine Kamera zuhause blieb (dabei wäre in der Tasche des Liebsten noch so viel Platz gewesen!), gibt es von all dem keine Bilder. Aber ich denke, das ist auch gut so, denn das war nicht mein Fest, nicht mein Tag, und die beiden, um die es da ging, wären über eine geltungssüchtigen Nähbloggerin unter ihren Gästen, die alle Details ihrer Feier ins Internet stellt, sicherlich nicht glücklich.


Aber mein Kleid kann ich euch zeigen (und da ich es im September noch einmal zu einer Hochzeit anziehe, werde ich dann auch noch ein Bild mit mir drin nachliefern).
Letztlich veränderte ich den Schnitt (128 aus Burda 6/2009) nur ganz minimal: Den Reißverschluss verlegte ich vom Rücken in die linke Seitennaht, neben einer kleinen Zugabe für größere Oberweite verlängerte ich das Oberteil noch einmal um etwa 1cm, damit die Taillennaht auch bei mir in der Taille sitzt.

Das Gürtelband ist bei mir 6,5cm breit, fast doppelt so breit wie von Burda vorgesehen und besteht aus zwei verstürzten Streifen über die gesamte Stoffbreite. Die Innenseite ist aus einem vorhandenen blass hellgrau-braunen Satin, ich nehme an aus Baumwolle und Viskose, etwas glänzender als mein Kleiderstoff. Diese Farbe - taupe? grège? - passt zufällig genau zu einer vor Jahren bei H&M gekauften und nie getragenen Ansteckblume. In den meisten Kontexten war sie mir zu groß und zu salatkopfig, hier passte sie perfekt.


Wie durchdacht das Schnittmuster ist, kann man auf diesem Detailbild erkennen: Was gewickelt erscheint, besteht in Wirklichkeit aus einem Vorderteil mit V-Ausschnitt und zwei schräg geschnittenen, in Falten gelegten Schnittteilen, die in der Schulternaht, im Armausschnitt, in der Seitennaht und in der Taillennaht mitgefasst werden. Die beiden in der Mitte überlappenden Bahnen verbergen zugleich die formenden Abnäher im Vorderteil, und die ganze Konstruktion verhindert ungewolltes Auswickeln.


Sogar die Anforderung "mit Vorhandenem zu kombinieren" erfüllte das Kleid. Für die Kirche trug ich meine vor zwei Jahren genähte kleine hellgraue Jacke darüber, die Schuhe besitze ich mehr als zehn Jahre, hatte sie schon völlig vergessen und fand sie erst dieses Frühjahr in meinem Schrank wieder, und die Tasche war ein 1-Euro-Glücksgriff bei Humana, auch schon vor einigen Jahren.
Ich fühlte mich jedenfalls perfekt angezogen, denn wie es meistens bei Hochzeiten ist, gab es die ganze Breite von sehr festlich (schulterfreies voluminöses Ballkleid schon am Nachmittag) bis zu sehr lässig (Röhrenjeans in Pink und dunkler Blazer den ganzen Abend). Lediglich ein Herr hatte für das Abendessen einen Smoking dabei, einige wenige Gäste wechselten das Kleid, aber nur eine von einem kurzen Kleid in ein langes. Und eine Dame - aus London kommend - trug nachmittags tatsächlich einen entzückenden fascinator aus schwarzen, gedrehten Strohstreifen mit weißen Rändern, passend zu ihrem schwarzen, mit weißen Ripsbändern abgesetzten Kleid mit passender Jacke.

Schnitt: 128 aus Burda 6/2009
Material: Baumwollsatin vom Berliner Maybachmarkt
Änderungen: Reißverschluss in der Seitennaht statt hinten, Gürtelband 6,5cm breit statt 3,5cm und kleine figurbedingte Änderungen
Je nach Stoff empfiehlt sich ein Futter für den Rock oder ein Unterrock.

(OK, "scheußlich" in Bezug auf den Elefantenstoff vom Probekleid nehme ich zurück. Außerdem darf ich versichern, dass die Bettwäsche jahrelang benutzt wurde und recht morsch ist, so dass sie wirklich nur noch für Probeteile verwendbar ist. Wirklich.)

Samstag, 28. August 2010

Probekleid

Habt ihr früher in der Schule das Lernen für Klassenarbeiten auch immmer bis zur letzte Minute aufgeschoben? Oder Hausaufgaben immer erst so spät angefangen, dass ihr sie ganz knapp noch schaffen konntet? Ich habe das ständig gemacht, und bis heute weiß ich nicht, ob diese Zeitverknappung eine Form von unbewusster Selbstsabotage darstellt, oder im Gegenteil der Entlastung dient, weil man dann später ja sagen konnte "ja kein Wunder, dass das nicht geklappt hat, bei so wenig Zeit." Anlässlich des Hochzeitsgastkleides bin ich in dieses alte Muster zurückgefallen: Eine Woche vor der Abreise war ich exakt so weit, wie in dem Beitrag beschrieben. Vorgewaschener Stoff und eine Zeichnung.

Am Freitag Abend (Tag X-7) sichtete ich dann etwa einen Meter Burdahefte, auf der Suche nach modifizierbaren Oberteilen und Ballonrockschnitten, die zum Kleid zusammengeflanscht werden könnten. Viele, viele Post-its später ließ ich die Idee wieder fallen, mir den Schnitt selbst zu basteln, denn die mittlere Partie des Kleides, also der Übergang von dem Gewickelten (oben) zum Rock wurde mir bei der ganzen Blätterei gedanklich nicht klarer, und etwas, das ich mir nicht genau vorstellen kann, kann ich auch nicht nähen.

Also ging ich nach Kleidschnittmustern auf die Suche... und fand Kleid Nr. 128 aus Burda 6/2009. Fast das, was ich wollte: Oberteil gewickelt, die Falten hinreichend interessant, Rock anscheinend mittelweit. Keine Ärmel - je nun, entweder würde es Ärmel von mir bekommen, oder eben so bleiben. Also am Freitag noch angefangen, den Schnitt herauszukopieren.

Am Samstag Nachmittag (Tag X-6) weiterkopiert, festgestellt, dass Folien- und Papiervorräte nicht reichen. Nochmal losfahren und Folie kaufen? Nö, Zeitungspapier genommen. Im Oberteil nach der Anleitung auf dieser Seite (Sewing secrets - "Schnittänderung für große Oberweiten") pi mal Daumen gut einen Zentimeter Weite zugefügt. Teile aus Bettwäsche (Ikea ca. 1992) zugeschnitten, Falten am Oberteil eingelegt, Schulter- und Seitennähte geschlossen, Rockteil angenäht, kurz vor Mitternacht den Reißverschluss quick&dirty eingesetzt, anprobiert...

(In einem Privatsender käme jetzt mindestens eine fünfminütige Werbepause. Oder der Hinweis auf die nächste Folge: "Wird der Schnitt passen? Wird es Lucy gelingen, ihr Kleid bis zur Hochzeitsfeier fertigzunähen? Oder muss sie doch noch einkaufen gehen? Schalten Sie in einer Woche wieder ein und erfahren Sie, wie es mit Lucy und ihrem Traumkleid weitergeht!")


Da wir uns aber in einem werbefreien Umfeld befinden, verzichten wir auf die Unterbrechung:
ES PASSTE! Und dafür, dass es aus einer ziemlich gar nicht scheußlichen Elefantenbettwäsche genäht ist, sah es sogar gut aus. Und anliegende Armausschnitte hatte es auch, ein Wunder!
Und aus technischen Gründen (noch keine Fotos) muss ich nun doch zur fiesen Cliffhanger-Technik greifen, was das eigentliche Kleid betrifft. Aber alles wurde gut, das habe ich damit ja schon verraten.

Donnerstag, 19. August 2010

4 Hochzeiten, kein Todesfall und leichte Panik

Was ist dieses Jahr nur los? Vier Hochzeitseinladungen, davon drei Feiern in sechs Wochen, von Schlosskapelle bis Festzelt, im Süden, im Westen, im Südwesten, mit den 200 engsten Freunden oder im kleinen Kreis. So viel geheiratet wurde noch nie. Und die Bekleidungsfrage habe ich natürlich gut verdrängt, deshalb jetzt: Panik.

Bei Hochzeit Nummer eins Anfang des Jahres, schwäbisch-italienisch und eher informell, konnte ich ganz lässig mit dem Bestand meines Kleiderschrankes zurechtkommen (hellgraues Jäckchen von 2008, Miss-Marple-Rock und ein vorhandenes seegrünes Chiffonoberteil mit silbrigen Perlen).

Die zweite Hochzeit Ende August - meine Herren, oder besser: meine Damen, das wird ein anderes Kaliber: groß, ja international, formell, aufwendig. Und ohne Auto reisetechnisch etwas kompliziert, da sowohl Übernachtungsort als auch Feierort in Schlössern etwas abseits der Zivilisation liegen. Das beschert dem Liebsten und mir nicht nur eine, sondern zwei Nächte in einem Schlosshotel, was ja auch nicht das schlechteste ist. Vom Übernachtungsschloss bringt uns ein Sammeltaxi zum zweiten Schloss, dort ist die Trauung in der Schlosskapelle. Danach Sektempfang, Pause, nach Wunsch Wechsel in Abendgarderobe (!), festliches "Dinner", Spiele, Reden, Standardtänze, andere Tänze, Sammeltaxi zurück zum Übernachtungsschloss, ins Bett fallen. Trotzdem früh aufstehen, denn kurz nach zwölf geht der Zug an die Nordsee, wo der Liebste und ich ein paar Tage Urlaub verbringen wollen - und der Bus vom Schloss zum Bahnhof fährt am Sonntag nur alle zwei Stunden.

Die Anforderungen sind also:

a) bequeme Schuhe, sowohl Schlosspark- als auch dinnertauglich, in denen ich es 12 Stunden oder länger aushalte,

b) eine große Tüte Studentenfutter, um den Mittagessenausfall zu kompensieren, damit ich nicht schon beim Sektempfang aus der Rolle falle, und,

c) ein Kleid, weder für Kirche am Nachmittag zu aufgebrezelt, noch zu unfestlich für den Abend.

Zwar wäre jetzt die Gelegenheit, ganz britisch-landadelmäßig am Nachmittag mit einem duftigen knielangen Kleid, einem passenden Mantel in pastelliger Farbe und mit einem irre dekorierten Hut aufzutauchen und für das Dinner ein langes Abendkleid anzuziehen, aber seien wir ehrlich: Weder das eine noch das andere entspricht meinem Lebensstil. Ich bin nicht Landadel, sondern (bestenfalls) digitale Bohème! Daher habe ich ziemlich schnell entschieden, dass ich nicht wünsche, vor dem Dinner in Abendgarderobe zu wechseln - ohne Auto zur Kleidaufbewahrung ist das auch etwas unpraktisch, ich müsste das Kleid für abends schon mittags mitnehmen - und vor allem nach der Feier daran denken, das Kleid vom Nachmittag wieder einzupacken!


Die Anforderungen an das Kleid für Nachmittag und Abend sind im Grunde schnell aufgezählt:
- weder schwarz noch weiß (Hochzeit!)
- Knielänge, denn ich finde ein langes Kleid am Nachmittag weitaus unpassender als ein kurzes Kleid am Abend, außerdem ist die Abendveranstaltung "nur" ein Dinner, kein Ball
- möglichst mit vorhandenen Schuhen, Jacke, Tasche etc. kombinierbar

Momentan habe ich: viereinhalb Meter brombeerfarbenen Baumwollsatin mit einem kleinem Stretchanteil und eine Idee (siehe Bild). Und nur noch wenig Zeit, aber aufgrund wochenlanger Untätigkeit viel aufgestaute Nähenergie.

Freitag, 6. August 2010

Die Ampel von Welt...


... greift bei Schmuddelwetter zu einem knappen Pullover, und würde eher nackt gehen, als Pelz zu tragen.

Neukölln, Hermannplatz/ Ecke Karl-Marx-Straße

Sonntag, 1. August 2010

Einstieg in die Schnittkonstruktion: Schnittmuster entwerfen, Schritt für Schritt


Kennt ihr diese Versuche, ein bestimmtes Wunschkleidungsstück zu erzeugen, bei denen man die Ärmel von Schnittmuster X an die Rumpfteile von Schnittmuster Y bastelt und dazu einen Kragen entwickelt, der so ähnlich ist wie bei Schnittmuster Z, das ganze aus Probestoff zuammennäht, verzweifelt, sich durch diverse Passformänderungen kämpft und sich denkt, dass ein passender Grundschnitt als Ausgangspunkt die ganze Sache sicher etwas vereinfacht hätte? Dass die meisten von uns diese Arbeitsweise gar nicht erst ausprobieren, hat vermutlich auch damit zu tun, dass Bücher über Schnittkonstruktion teuer bis sehr teuer sind.


Ein preiswertes Buch, das eine ersten Einstieg in die Konstruktion von Schnitten vermittelt, ist mir gerade im Bücherbogen in die Hände gefallen: Patternmaking in fashion/ Schnittmuster entwerfen von Lucia Mors de Castro.

Das Buch ist englisch-französisch-deutsch betextet und erklärt ohne viel Drumherumreden mit vielen Grafiken und Fotos das Maßnehmen, das Konstruieren eines Rockgrundschnittes, eines Oberteils und eines Ärmels. Zu jedem Grundschnitt werden noch zwei Abwandlungen detailliert gezeigt, die zugleich grundlegende Verfahren wie das Umwandeln von Abnähern und das Einfügen von Falten anwenden. Die Schnittkonstruktion beruht laut Vorwort auf Erfahrungen mit dem System von Müller & Sohn, das durch Ausprobieren, Austausch im Kollegenkreis und Erfahrungen mit anderen Schnittsystemen erweitert wurde.


Aus dem Rockgrundschnitt werden so ein Rock mit schrägen Falten im Vorderteil und ein Ballonrock mit runder Passe und Taschen an den Seiten (siehe Foto oben), Oberteilschnitt und Rock gemeinsam lassen sich in ein Halterneckkleid mit Glockenrock und in ein eiförmiges Kleid ohne Taillenabnäher umwandeln, aus Oberteil und Ärmel entstehen eine schlichte Lederjacke mit betonten Schultern und eine Tweedjacke mit Raglanärmeln und Volantkragen (siehe Foto unten).


Mir gefällt die schnörkellose, übersichtliche Herangehensweise des Buches, die Schnittkonstruktion nach den eigenen Maßen als eine absolut lösbare Aufgabe erscheinen lässt.
Nähkenntnisse und Erfahrung beim Anpassen von Fertigschnitten sind auf jeden Fall von Vorteil, denn die Autorin verzichtet vollständig auf Anleitungen, wie die erstellten Schnitte denn zu nähen sind. Auch das Anpassen des Grundschnittes an die eigenen Figurbesonderheiten durch ein Probeteil und Abstecken am Körper wird zwar vorausgesetzt, aber nicht erklärt. Hier könnten also gerade die Selbermacherinnen, die auch bei fertigen Schnittmustern mit unlösbaren Passformproblemen hadern, an Grenzen stoßen. Patternmaking in fashion/ Schnittmuster entwerfen ist daher eher dazu geeignet auszuprobieren, ob Schnittkonstruktion einem überhaupt Spaß macht und ob sich die Anschaffung der mehr als zehnmal so teuren Standardwerke lohnen würde. Aber das ist für ein Buch für knapp 10 Euro schon ziemlich viel.